Geschichtenprojekt “Zuhause” – „Peanutbutter“
Letzten Sonntag – wie jeden Sonntag – habe ich mich mit meiner Familie an den Tisch gesetzt, um Tee zu trinken. Dieses Mal gab es zum Tee auch etwas zu essen, was ich meiner Mutter als Geschenk mitgebracht habe: ein Glas ‘Peanutbutter’ (auf Deutsch: Erdnussbutter). Jeder von uns – meine Mutter, mein Vater, Majed und ich – durften einmal mit dem Finger probieren, dann stand das Glas wieder auf dem Tisch und es war still. Jeder ging seiner Erinnerung nach. Und dann erzählen wir uns unsere eigene Geschichte:
Wie für viele Flüchtlinge aus Syrien war unsere erste Station Jordanien und die zweite die Türkei. In Istanbul haben wir bei der Freundin meiner Mutter sieben wunderbare Tage erlebt. Es war so schön, wie wenn wir in Ferien wären. Aber etwas war komisch. Meine Mutter ging immer einkaufen und unsere Rucksäcke wurden immer schwerer. Am achten Tag weckte uns morgens unsere Mutter und hat eine kleine Rede gehalten. Sie sagte: „Ab heute sind wir Flüchtlinge. Flüchtling zu sein macht manchmal traurig und ängstlich und das Herz ist schwer. Aber das ist nicht gut für die Reise. Deshalb werden wir für die nächste Zeit keine Flüchtlinge, sondern Touristen sein. Wir sind auf einer Exkursion durch acht Länder: Türkei, Lesbos, Griechenland, Serbien, Mazedonien, Ungarn, Österreich und Deutschland.
Das erste Stück unserer Reise war ganz einfach. Von Istanbul nach Izmir fahren wir mit dem Bus. Nur unsere Rucksäcke waren schwer. In Izmir haben wir unsere Reisegruppe im Café getroffen. Wir waren jetzt 24 Personen. Und dann gab es noch die Schlepper. Ohne Schlepper geht es nicht. Leider konnten wir an diesem Tag noch nicht weiterreisen. Die Männer haben auf der Straße übernachtet. Die Frauen und wir Kinder wurden in ein kleines Zimmer gebracht. Am nächsten Tag machten die Erwachsenen Einkäufe für die Überfahrt. Dann kam der schwierigste Teil unserer Exkursion. Zuerst mit dem Lastwagen, der viel zu klein war, ans Meer und dann mit dem Boot nach Griechenland. Jetzt wussten wir wieder, dass wir Flüchtlinge sind.
Es war zwei Uhr morgens, als wir am Meer ankamen. Alles war dunkel. Wir haben die Schlepper getroffen. Zwei Stunden später sind wir losgefahren. 45 Personen in einem kleinen Schlauchboot. Die Sonne ging auf und es wurde hell. Wir waren 5 Stunden auf dem Meer – ein großes Glück – viele haben einen Tag oder eine ganze Woche gebraucht. Wir sahen nichts außer Wasser. Es gab keine Erde vor unseren Augen. Die Kinder weinten. Ein Zweijähriger war dabei. Auch die Mütter weinten und fragten sich, warum sie mitgekommen sind. Eltern haben ihren Entschluss bereut. Alles war sehr schlimm, weil nicht nur die Kinder Angst hatten, sondern auch die Männer und die Frauen. In der Mitte unserer Fahrt stoppte das Boot. Der Schlauch, der Boot und Benzintank verband, war kaputt und es dauerte einige Zeit, bis er repariert war. „Warum machen wir das? Warum sind wir hier?“ schreit eine Frau. Sie schaut ihren weinenden Sohn an und sagt: „Es ist nicht unsere Schuld,“ und sie weint und weint. Plötzlich habe ich das Gefühl, dass Wasser in unser Boot kommt. Die Männer ziehen ihre T-Shirts aus und fangen an, das Wasser rauszuwerfen. Nach einer halben Stunde können wir weiterfahren. Aber nur ganz langsam. Nach 10 Minuten sehen wir einen türkischen Hubschrauber am Himmel. Die kommt näher und wir haben Angst, dass er uns zwingt, zurück zu fahren. Aber – wir haben Glück. Wir sind im griechischen Meer. Hinter uns gibt es noch sieben Boote. Nicht alle sind angekommen. Das Boot hinter uns wurde von einem griechischen Boot zerstört, aber die Leute konnten schwimmen und alle erreichten Griechenland. Jetzt sind wir da. In Lesbos angekommen. Gesund und glücklich.
Ganz schnell waren wir von vielen freundlichen Menschen umgeben. Leute von der Zeitung und andere Leute die auf der Insel wohnten. Als alle an Land waren, gingen wir los. Wieder ein schwieriger Teil unserer Reise hatte jetzt begonnen. Wir wussten, dass wir viel laufen werden, aber wir wussten nicht, dass wir über einen Berg steigen müssen. Es war Sommer. Es war steil. Unsere Rucksäcke waren schwer. Deshalb mussten wir so viele Gläser ‘Peanutbutter’ schleppen. Wir hatten Hunger, auf dem Berg kann man nichts kaufen und wir brauchen Kraft. Meine Mutter – die Chefin – macht für alle ‘Peanutbutter’-Brote. So konnte unsere Wanderung in die Freiheit weitergehen. Es gab schwierige und es gab gefährliche Sachen – aber unser Team war gut. Meine Familie, unsere Gruppe und die ‘Peanutbutter.’
© Ghalia (16 Jahre)